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Karl-und-Jenny-Marx

Adresse an die constituirende Versammlung in Berlin

In loser Folge werden wir in den nächsten Wochen Artikel aus der „Neue Rheinische Zeitung“ veröffentlichen, mit denen die Redaktion auf die aktuelle politische Entwcklung im Revolutionsjahr 1848 eingeht.

Bild NRZ 3

Ausgabe No 3. Köln, Samstag 3. Juni 1848

Köln, 2. Juni.

In der gestrigen Versammlung der demokratischen Gesellschaft im Stollwerk’schen Saale wurde nachstehende Adresse an die constituirende Versammlung in Berlin berathen, angenommen und sofort mit zahlreichen Unterschriften versehen.

Hohe Versammlung!

Nachdem eine Anerkennung des Rechtes der Völker zur Selbstregierung bereits eine unabweisbare Nothwendigkeit für die bisherigen Inhaber der Macht geworden war, schien das Versprechen unseres Königs, daß Preußen fortan in Deutschland aufgehen und entschieden an die Spitze der Bewegung treten werde, für die ersehnte Einheit und Freiheit neue Vorkämpfer in Preußen zu verheißen. Auch diese Erwartung ist wiederum getäuscht worden. Mag Preußens Auftreten in Schleswig-Holstein Entschuldigung finden, mögen immerhin die von der öffentlichen Meinung bezeichneten Anträge und Einflüsse der preußischen Regierung bei dem deutschen Bundestage nicht in Wahrheit beruhen; ‒ noch hat diese Regierung keine Handlung aufzuweisen, aus der ein wahres Anschließen an die Bewegung Deutschlands nach Einheit und Freiheit zu ersehen wäre. Die Stimme des Volkes hat bereits wiederholt und laut das Zusammentreten der Versammlung für die Verfassung Preußens vor der Beendigung des Verfassungswerks durch die deutsche Nationalversammlung als friedlich und gefahrdrohend für die Einheit Deutschlands bezeichnet. Mehr aber noch als die Einheit sehen jetzt die unterzeichneten Bürger Köln’s die Freiheit des Volkes, seine Souveränität durch Vorlage des Entwurfs zur Vereinbarung der preuß. Verfassung bedroht.

Eine mißlungene Nachahmung der belgischen Verfassung, übergeht der Entwurf manche bedeutendern Institutionen, welche von dem Volke schon errungen, als die nothwendigsten Garantieen seiner Freiheit erschienen ; manche sind spätern Gesetzen vorbehalten; während andere offenbar das Prinzip der Volkssouveränität verletzen.

Weder im Prinzip noch in den einzelnen Sätzen wird anerkannt, daß die Staatsgewalt aus dem allgemeinen Volkswillen entspringt, sondern geradezu der Grundsatz des Absolutismus festgehalten: der König steht über der Verfassung als das unmittelbar „von Gottes Gnaden“ zwischen Gott und den Menschen gesetzte höhere Wesen; dem schwachen Volke ist nur eine Theilnahme an den Angelegenheiten des Staates gewährt!

Das Heer und die Beamten müssen dem Könige und der Verfassung Treue und Gehorsam schwören.

Der König besetzt alle Staatsämter und alle Stellen im Heere. Ohne seine Einwilligung kann kein Gesetz gegeben werden.

Die Staatsbürger sind nicht vor dem Gesetze gleichgestellt, solange dem Könige die Verleihung des Adels und anderer Auszeichnungen zusteht ; das Heer vom Versammlungs- und Petitionsrecht ausgeschlossen bleibt; das Vermögen Bedingung des Eintritts in eine sogenannte erste Kammer sein soll.

Nähere Bestimmungen über die Gewährleistung der persönlichen Freiheit, über die Unverletzlichkeit der Wohnung sind nicht gegeben. Die völlige Trennung der Kirche vom Staate ist nicht anerkannt.

Die Freiheit des Unterichts wird ausgesprochen, aber durch die Verweisung auf die bestehenden Gesetze wieder aufgehoben ; die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses durch die aufgestellten Ausnahmen ein illusorische.

Die Presse ist zwar freigegeben, aber durch die bestehenden Polizeigesetze, durch Porto und Stempel gehemmt; das Versammlungsrecht unter freiem Himmel der Polizeiwillkühr überlassen.

Wahlberechtigung und Wählbarkeit sollen durch spätere Gesetze regulirt werden.

In Civil- und Kriminalprozeßsachen ist die Mündlichkeit nicht einmal als Regel ausgesprochen; die Oeffentlichkeit bei Civilsachen in Frage gestellt. Die mit schweren Strafen bedrohten Handlungen, so wie die politischen und Preßvergehen sind nicht vollständig oder wenigstens nicht unzweideutig der Beurtheilung der Geschwornen unterworfen.

In Betreff der Kompetenz der Gerichte und Verwaltungsbehörden wird auf das Gesetz verwiesen ; die Entscheidung über die Konflikte nicht einzig der Gerichten übertragen.

Statt Festsetzung einer Civilliste verbleibt das Gesetz über das sog. Kronfideikommiß.

Von einer allgemeinen Volksbewaffnung, eine allmähliche Verminderung des Heeres, Verschmelzung desselben mit dem Staatsbürgerthum, einer Veränderung des Polizeiwesens und des Beamtenthums, Unabhängigkeit des Gemeindewesens ist nirgendwo die Rede. Die Unentgeltlichkeit des Unterrichtes wird nicht als nothwendig anerkannt, des Armenwesens mit keinem Worte gedacht. Alle sozialen Fragen der Zeit werden ignorirt; und endlich wird auch für die Zukunft die Aussicht auf eine genügende Feststellung der in Frage gelassenen Institutionen, dadurch völlig abgeschnitten, daß statt einer Volkskammer noch eine erste Kammer errichtet ist. Ihre Zusammenstellung, die Dauer und Erblichkeit der Pairie, ihr Veto in der Gesetzgebung, stellt eine neue Aristokratie neben die aus allgemeiner Wahl hervorgegangenen Volksvertreter und tritt durch ihren schneidenden Eingriffe in das Princip der Volkssouveränität am meisten verletzend dem Gefühle und dem allgemeinen Willen der übrigen Staatsbürger entgegen.

Demnach tragen die unterzeichneten Bürger Köln’s bei der hohen Versammlung dahin an: Die Vorlage zur Vereinbarung einer Verfassung zurückzuweisen, und insofern es schon vor der Vollendung des Verfassungswerkes durch die deutsche Nationalversammlung möglich sein sollte, als konstituirende Versammlung die preußische Verfassung auf neuer Grundlage festzustellen.

 

Eine Rede für Karl Marx

Am 5. Mai 2021 jährt sich der Geburtstag von Karl Marx zum 203. Mal. Es ist kein „runder“ Geburtstag. Und wegen der Pandemie werden ohnehin alle größeren Gedenkveranstaltungen ausfallen. Nach seinem Tod am 14. März 1883 verfasste sein Weggefährte und Freund Friedrich Engels, der schon in Köln und Paris an seiner Seite stand, einen Nachruf, der auch eine Geburtstagsrede sein könnte. Marx wird darin als derjenige bezeichnet, der dem Proletariat „zuerst das Bewußtsein seiner eigenen Lage und seiner Bedürfnisse, das Bewußtsein der Bedingungen seiner Emanzipation gegeben hatte“. Als „wirklicher Revolutionär“, für den die Befreiung „der Lohnarbeiter von den Fesseln des modernen kapitalistischen Systems“ eine wahre „Berufung“ war.

Wir zitieren diesen Text nach der Fassung im „Der Sozialdemokrat“.  Und weisen gleichzeitig darauf hin, wie sehr sich Marx durch die derzeitige Entwicklung der Pandemie – gerade in Köln – bestätigt fühlen würde: Inzidenzzahlen von 68,9 in einem wohlhabenden Stadtteil wie Hahnwald und von 586,2 in einem sozial schwachen wie Finkenberg. Deutlicher lässt sich der Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit wohl nicht darstellen.

Friedrich Engels
Das Begräbnis von Karl Marx

[„Der Sozialdemokrat“
Nr.13 vom 22. März 1883]

Samstag 17. März wurde Marx auf dem Friedhof zu Highgate zur Ruhe gelegt, im selben Grabe, in dem seine Frau vor fünfzehn Monaten beerdigt worden. Am Grabe legte G.Lemke zwei Kränze mit roten Schleifen auf den Sarg, im Namen der Redaktion und Expedition des „Sozialdemokrat“ und in dem des Londoner Kommunistischen Arbeiterbildungsverein.
Dann sprach F. Engels ungefähr folgendes in englischer Sprache:

„Am 14. März, nachmittags ein Viertel vor drei, hat der größte lebende Denker aufgehört zu denken. Kaum zwei Minuten allein gelassen, fanden wir ihn beim Eintreten in seinem Sessel ruhig entschlummert – aber für immer.

Was das streitbare europäische und amerikanische Proletariat, was die historische Wissenschaft an diesem Mann verloren haben, das ist gar nicht zu ermessen. Bald genug wird sich die Lücke fühlbar machen, die der Tod dieses Gewaltigen gerissen hat.

Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte: die bisher unter ideologischen Überwucherungen verdeckte einfache Tatsache, daß die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können; daß also die Produktion der unmittelbaren materiellen Lebensmittel und damit die jedesmalige ökonomische Entwicklungsstufe eines Volkes oder eines Zeitabschnitts die Grundlage bildet, aus der sich die Staatseinrichtungen, die Rechtsanschauungen, die Kunst und selbst die religiösen Vorstellungen der betreffenden Menschen entwickelt haben, und aus der sie daher auch erklärt werden müssen – nicht, wie bisher geschehen, umgekehrt.

Damit nicht genug. Marx entdeckte auch das spezielle Bewegungsgesetz der heutigen kapitalistischen Produktionsweise und der von ihr erzeugten bürgerlichen Gesellschaft. Mit der Entdeckung des Mehrwerts war hier plötzlich Licht geschaffen, während alle früheren Untersuchungen, sowohl der bürgerlichen Ökonomen wie der sozialistischen Kritiker, im Dunkel sich verirrt hatten.

Zwei solche Entdeckungen sollten für ein Leben genügen. Glücklich schon der, dem es vergönnt ist, nur eine solche zu machen. Aber auf jedem einzelnen Gebiet, das Marx der Untersuchung unterwarf, und dieser Gebiete waren sehr viele und keines hat er bloß flüchtig berührt – auf jedem, selbst auf dem der Mathematik, hat er selbständige Entdeckungen gemacht.

So war der Mann der Wissenschaft. Aber das war noch lange nicht der halbe Mann. Die Wissenschaft war für Marx eine geschichtlich bewegende, eine revolutionäre Kraft. So reine Freude er haben konnte an einer neuen Entdeckung in irgendeiner theoretischen Wissenschaft, deren praktische Anwendung vielleicht noch gar nicht abzusehen – eine ganz andere Freude empfand er, wenn es sich um eine Entdeckung handelte, die sofort revolutionär Eingriff in die Industrie, in die geschichtliche Entwicklung überhaupt. So hat er die Entwicklung der Entdeckungen auf dem Gebiet der Elektrizität, und zuletzt noch die von Marc Deprez, genau verfolgt.

Denn Marx war vor allem Revolutionär. Mitzuwirken, in dieser oder jener Weise, am Sturz der kapitalistischen Gesellschaft und der durch sie geschaffenen Staatseinrichtungen, mitzuwirken an der Befreiung des modernen Proletariats, dem er zuerst das Bewußtsein seiner eigenen Lage und seiner Bedürfnisse, das Bewußtsein der Bedingungen seiner Emanzipation gegeben hatte – das war sein wirklicher Lebensberuf. Der Kampf war sein Element. Und er hat gekämpft mit einer Leidenschaft, einer Zähigkeit, einem Erfolg wie wenige. Erste ,Rheinische Zeitung‘ 1842, Pariser ,Vorwärts! ‚1844, ,BrüsseIer Deutsche Zeitung‘  1847,Neue Rheinische Zeitung‘ 1848-1849, ,New-York Tribüne‘ 1852-1861 – dazu Kampfbroschüren die Menge, Arbeit in Vereinen in Paris, Brüssel und London, bis endlich die große Internationale Arbeiterassoziation als Krönung des Ganzen entstand – wahrlich, das war wieder ein Resultat, worauf sein Urheber stolz sein konnte, hätte er sonst auch nichts geleistet.

Und deswegen war Marx der bestgehaßte und bestverleumdete Mann seiner Zeit. Regierungen, absolute wie republikanische, wiesen ihn aus, Bourgeois, konservative wie extrem-demokratische, logen ihm um die Wette Verlästerungen nach. Er schob das alles beiseite wie Spinnweb, achtete dessen nicht, antwortete nur, wenn äußerster Zwang da war. Und er ist gestorben, verehrt, geliebt, betrauert von Millionen revolutionärer Mitarbeiter, die von den sibirischen Bergwerken an über ganz Europa und Amerika bis Kalifornien hin wohnen, und ich kann es kühn sagen: Er mochte noch manchen Gegner haben, aber kaum noch einen persönlichen Feind. Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk!“

(Quelle: MEW 19, S.335-337)

Für Interessierte weisen wir auf die für den 5.5. um 19:30 geplante Rede von Professorin Marina Münkler auf youtube hin: https://www.youtube.com/watch?v=t73Ugv–egE

 

Caroline Schoeler ­- eine Freundin der Familien Marx und Engels

»Zu den Freunden und Kampfgefährten, die über Jahrzehnte hinweg mit der Familie Marx verbunden waren, zählt auch Caroline Schoeler. Mehr als vierzig Jahre lang stand sie mit Karl und Jenny Marx, mit deren Kindern und mit Friedrich Engels in engem, freundschaftlichem Kontakt. Leider ist über sie bisher wenig bekannt. Nur vereinzelt finden sich in der Karl Marx und seinen Angehörigen gewidmeten biographischen Literatur Angaben über Caroline Schoeler.‘ Mit den folgenden Mitteilungen soll ein Anfang gemacht werden, ihren Lebensweg zu skizzieren. […]

Caroline Schoeler wurde im Jahre 1819 in Köln geboren. Das genaue Geburtsdatum war bisher nicht zu ermitteln. Ihr Vater, Theodor Schoeler, war Anwalt am Kölner Appellationsgericht und Justizrat. In den Lebenskreis der – späteren – Familie Marx kam sie über Edgar von Westphalen, Jennys jüngeren Bruder. Mit ihm hat sie sich spätestens 1845 heimlich verlobt. In einem Brief Edgars an seinen Freund Werner von Veltheim vom 4. Mai 1845 gestand er: „Auf das Rendezvous in Köln gehe ich gerne ein. Du wirst dort meine Braut kennenlernen; wir sind heimlich verlobt. Lina Schöler ist mein Mädchen, das ich innig und einzig liebe. Ihr Vater ist vor kurzer Zeit ge­storben [ …]. Er wußte nicht, daß seine Tochter der Lichtblick in meinem Leben, meine Rettung ist.“«

Der gesamte Artikel von Heinrich Gemkow findet sich bei nachfolgendem link:

­Eine Freundin der Familie Marx und Engels‘

Neue Rheinische Zeitung

Die „Neue Rheinische Zeitung. Organ der Demokratie“ war eine Tageszeitung, die unter der Redaktion von Karl Marx vom 1. Juni 1848 bis 19. Mai 1849 in Köln herausgegeben wurde.

„Sofort nach ihrer Rückkehr aus der Emigration bereiteten Marx und Engels die Ausgabe einer großen revolutionären Tageszeitung vor. Als Aufenthaltsort wählten sie Köln, die Hauptstadt der Rheinprovinz, eines der ökonomisch und politisch entwickeltsten Gebiete Deutschlands mit einem starken Proletariat. Im Rechtswesen galt hier der bürgerliche Code Napoleon, der eine größere Pressefreiheit garantierte als das feudalabsolutistische preußische Landrecht.

Mit dem Titel „Neue Rheinische Zeitung“ knüpften Marx und Engels an die revolutionären Traditionen der von Marx 1842 bis 1843 redigierten „Rheinischen Zeitung“ an. […]

Die Leitartikel wurden in der Regel von Marx und Engels verfaßt. […]

Jeder Redakteur beschäftigte sich mit einem begrenzten Bereich. Engels schrieb kritische Artikel über die Debatten der Berliner und Frankfurter Nationalversammlung sowie der zweiten Kammer in Preußen, Artikel über die nationale Freiheitsbewegung in Böhmen, Posen und Italien, über den Krieg mit Dänemark um Schleswig-Holstein, die revolutionären Kämpfe in Ungarn und vom November 1848 bis Januar 1849 eine Artikelreihe über die Schweiz.
Wilhelm Wolff verfaßte Artikel über die Agrarfrage in der deutschen Revolution, insbesondere über die Lage der Bauern und die Bauernbewegung in Schlesien, und führte einen Abschnitt der Rubrik „Aus dem Reich“, in der Nachrichten
aus den deutschen Kleinstaaten zusammengestellt wurden. Ernst Dronke arbeitete eine Zeitlang als Korrespondent der „Neuen Rheinischen Zeitung“ in Frankfurt am Main; er schrieb einige Artikel über Polen und in der Zeit von März bis Mai 1849 Beiträge über Italien.
Ferdinand Wolff war längere Zeit einer der Korrespondenten in Paris. Die Mitarbeit von Heinrich Bürgers an der Zeitung beschränkte sich lediglich auf einen Artikel, der zudem von Marx völlig überarbeitet worden ist … .
Georg Weerth war der Verfasser des Feuilletons. Ferdinand Freiligrath trat im Oktober 1848 in die Redaktion ein und veröffentlichte seine revolutionären Gedichte.“
(Quelle: MEW Band 5, S. 506ff)

Eine ausführliche Beschreibung zur NRhZ – verfasst von Jürgen Herres – findet sich in: Karl Marx Friedrich Engels Gesamtausgabe MEGA I/7, Berlin 2016, S. 878ff

Das rheinische „Intelligenzblatt“

 

Der leitende Artikel in Nr. 179 der „Kölnischen Zeitung“1583

Wir hatten bisher in der „Kölnischen Zeitung“ wenn auch nicht das „Blatt der rheinischen Intelligenz“, so doch das rheinische „Intelligenzblatt“ verehrt. Wir betrachteten vorzugsweise ihre „leitenden politischen Artikel“ als ein ebenso weises wie gewähltes Mittel, dem Leser die Politik zu verleiden, damit er desto sehnsüchtiger in das lebensfrische, industriewogende und oft schöngeistig pikante Reich der Anzeigen hinübersetze, damit es auch hier heiße: per aspera ad astra, durch die Politik zu den Austern. Allein das schöne Ebenmaß, welches die „Kölnische Zeitung“ bisher zwischen der Politik und den Anzeigen zu halten wußte, ist in letzter Zeit durch eine Art von Anzeigen gestört worden, welche man die „Anzeigen der politischen Industrie“ nennen kann. In der ersten Unsicherheit, wo diese neue Gattung zu plazieren, geschah es, daß sich eine Anzeige in einen leitenden Artikel und der leitende Artikel in eine Anzeige verwandelte, und zwar in eine Anzeige, die man in der Sprache der politischen Welt eine „Denunziation“ nennt, die aber, wenn sie bezahlt wird, eine „Anzeige“ schlechthin heißt.

Karl Marx

[„Rheinische Zeitung“ Nr. 191 vom 10.Juli 1842]

Ein Raum für Karl und Jenny Marx

Der Förderverein für dieses Projekt strebt an, auch in Köln einen Ort zu schaffen, der an das Wirken von Marx, seiner Frau Jenny und seiner Mitstreiter und Mitstreiterinnen erinnert. Er soll über die Zeit und die Geschehnisse während Marxens Zeit als Redakteur der „Rheinischen Zeitung“ und der „Neuen Rheinischen Zeitung“ informieren. Dabei wird deutlich werden, dass Köln in dieser Zeit mit an der Spitze der revolutioären Bewegung für Demokratie und eine Republik stand.

Mit dem Ausklang des Marx-Jahres 2018, das vor allem in Trier enthusiastisch gefeiert und zum grandiosen Tourismus-Event wurde, haben wir uns die Frage gestellt, warum in Köln so wenig an den Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus erinnert – genau genommen gar nichts, wenn man von einer Allee am äußersten Ende der Stadt[1], einer kleinen Tafel Am Heumarkt 65, dem ehemaligen Redaktionsort der „Neuen Rheinischen Zeitung“, und einer seltsamen Figur auf dem Kölner Rathausturm[2] absieht, die seinem Format als politischer Denker kaum gerecht wird.

Karl Marx

Trier hat sein Marx-Haus, in Wuppertal gibt es ein Engels-Museum, in London eine „Karl Marx Memorial Library“, in Wien eine Genossenschaftssiedlung namens „Karl-Marx-Hof“, der eine Ausstellung über das „Rote Wien“ angeschlossen ist. Nur Köln glänzt durch konsequente Nicht-Beachtung von Marx, obwohl er zwei entscheidende Phasen seines Lebens hier verbrachte, die Jahre 1842/43 und 1848/49, in denen er als Redakteur der „Rheinischen“ und „Neuen Rheinischen Zeitung“ nicht nur die Grundlagen seiner ökonomischen Theorie legte, sondern auch zum Sprachrohr der Revolution wurde. Er selbst hat einmal darüber gesagt:

„Im Jahr 1842/43, als Redakteur der ‘Rheinischen Zeitung‘, kam ich zuerst in die Verlegenheit, über sogenannte materielle Interessen mitsprechen zu müssen. Die Verhandlungen des Rheinischen Landtags über Holzdiebstahl und Parzellierung des Grundeigentums, Debatten endlich über Freihandel und Schutzzoll, gaben die ersten Anlässe zu meiner Beschäftigung mit ökonomischen Fragen.“

Was Köln braucht, ist aber kein Marx-Denkmal, das ihn als einzige Galionsfigur auf den Sockel hebt, sondern einen Ort der Erinnerung an die 1840er Jahre, in denen die Stadt ein Zentrum der Demokratie und der Revolution war. Dazu gehört neben Marx auch Friedrich Engels, den er hier zum ersten Mal traf, dazu gehört der jüdische Journalist Moses Hess, der sozialistische Armenarzt Andreas Gottschalk, der Lyriker Georg Herwegh, der Kölner Arbeiterverein mit zeitweilig 7000 Mitgliedern, dessen erster Sekretär Fritz Anneke und “last not least“ seine Ehefrau Mathilde Franziska, die während seiner Haft die gemeinsame »Neue Kölnische Zeitung« allein herausgab und nach deren Verbot eine »Frauenzeitung«, die erste deutsche Frauenzeitung überhaupt.

Jenny Marx um1835

Vor allem sollte auch an Jenny von Westphalen, verheiratete Marx, erinnert werden, die Karl Marx mit drei Kindern nach Köln folgte und politisch wie moralisch während des ganzen, oft von Not und Elend geprägten Lebens auch im Exil, immer an seiner Seite stand. Die belesene und außerordentlich gebildete Jenny Marx war aktives Mitglied der sozialistischen Bewegung. Sie stand in Korrespondenz mit Lassalle, Engels, Liebknecht und vielen anderen bedeutenden Zeitgenossen. In Zusammenarbeit mit ihrem Mann schrieb sie auch dessen manchmal nahezu unleserlichen Texte ins Reine.
In Köln lebte die Familie bis zum Ende von Marx Redakteurstätigkeit bis zum 19. Mai 1849. Da erschien die letzte Nummer der „Neuen Rheinischen Zeitung“ ganz in Rot mit über 15 000 verkauften Exemplaren und dem berühmten Gedicht von Freiligrath.  Sogar im Karneval wurde die Revolution thematisiert und “satirisch“ dargestellt, sodass die Ausstellung in den Räumeen für Karl und Jenny auch ihre humoristischen Komponenten haben könnte.

Plünderung des Offermannschen Waffenladens

Im Kölnischen Stadtmuseum, im Rheinischen Bildarchiv, im Historischen Archiv der Stadt Köln, in der Universitäts- und Zentralbibliothek, im Wallraf-Richartz-Museum und im Archiv der Sozialen Demokratie in Bonn gibt es zahlreiche Bilder, Objekte und Dokumente, mit denen sich diese Geschichte darstellen lässt: historische Zeitungsartikel und Flugblätter, Briefe und Porträts der Protagonistinnen und Protagonisten, Karikaturen, Fahnen, Trommeln, Revolutionsgemälde, vor allem von dem Kölner Maler Wilhelm Kleinenbroich, der in dieser Stadt viel zu wenig bekannt ist, um nur einige Beispiele zu nennen.


[1] der Karl-Marx-Allee in Chorweiler/Seeberg [2] Helmut Moos