In loser Folge werden wir in den nächsten Wochen Artikel aus der „Neue Rheinische Zeitung“ veröffentlichen, mit denen die Redaktion auf die aktuelle politische Entwcklung im Revolutionsjahr 1848 eingeht.
Ausgabe No 3. Köln, Samstag 3. Juni 1848
Köln, 2. Juni.
In der gestrigen Versammlung der demokratischen Gesellschaft im Stollwerk’schen Saale wurde nachstehende Adresse an die constituirende Versammlung in Berlin berathen, angenommen und sofort mit zahlreichen Unterschriften versehen.
Hohe Versammlung!
Nachdem eine Anerkennung des Rechtes der Völker zur Selbstregierung bereits eine unabweisbare Nothwendigkeit für die bisherigen Inhaber der Macht geworden war, schien das Versprechen unseres Königs, daß Preußen fortan in Deutschland aufgehen und entschieden an die Spitze der Bewegung treten werde, für die ersehnte Einheit und Freiheit neue Vorkämpfer in Preußen zu verheißen. Auch diese Erwartung ist wiederum getäuscht worden. Mag Preußens Auftreten in Schleswig-Holstein Entschuldigung finden, mögen immerhin die von der öffentlichen Meinung bezeichneten Anträge und Einflüsse der preußischen Regierung bei dem deutschen Bundestage nicht in Wahrheit beruhen; ‒ noch hat diese Regierung keine Handlung aufzuweisen, aus der ein wahres Anschließen an die Bewegung Deutschlands nach Einheit und Freiheit zu ersehen wäre. Die Stimme des Volkes hat bereits wiederholt und laut das Zusammentreten der Versammlung für die Verfassung Preußens vor der Beendigung des Verfassungswerks durch die deutsche Nationalversammlung als friedlich und gefahrdrohend für die Einheit Deutschlands bezeichnet. Mehr aber noch als die Einheit sehen jetzt die unterzeichneten Bürger Köln’s die Freiheit des Volkes, seine Souveränität durch Vorlage des Entwurfs zur Vereinbarung der preuß. Verfassung bedroht.
Eine mißlungene Nachahmung der belgischen Verfassung, übergeht der Entwurf manche bedeutendern Institutionen, welche von dem Volke schon errungen, als die nothwendigsten Garantieen seiner Freiheit erschienen ; manche sind spätern Gesetzen vorbehalten; während andere offenbar das Prinzip der Volkssouveränität verletzen.
Weder im Prinzip noch in den einzelnen Sätzen wird anerkannt, daß die Staatsgewalt aus dem allgemeinen Volkswillen entspringt, sondern geradezu der Grundsatz des Absolutismus festgehalten: der König steht über der Verfassung als das unmittelbar „von Gottes Gnaden“ zwischen Gott und den Menschen gesetzte höhere Wesen; dem schwachen Volke ist nur eine Theilnahme an den Angelegenheiten des Staates gewährt!
Das Heer und die Beamten müssen dem Könige und der Verfassung Treue und Gehorsam schwören.
Der König besetzt alle Staatsämter und alle Stellen im Heere. Ohne seine Einwilligung kann kein Gesetz gegeben werden.
Die Staatsbürger sind nicht vor dem Gesetze gleichgestellt, solange dem Könige die Verleihung des Adels und anderer Auszeichnungen zusteht ; das Heer vom Versammlungs- und Petitionsrecht ausgeschlossen bleibt; das Vermögen Bedingung des Eintritts in eine sogenannte erste Kammer sein soll.
Nähere Bestimmungen über die Gewährleistung der persönlichen Freiheit, über die Unverletzlichkeit der Wohnung sind nicht gegeben. Die völlige Trennung der Kirche vom Staate ist nicht anerkannt.
Die Freiheit des Unterichts wird ausgesprochen, aber durch die Verweisung auf die bestehenden Gesetze wieder aufgehoben ; die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses durch die aufgestellten Ausnahmen ein illusorische.
Die Presse ist zwar freigegeben, aber durch die bestehenden Polizeigesetze, durch Porto und Stempel gehemmt; das Versammlungsrecht unter freiem Himmel der Polizeiwillkühr überlassen.
Wahlberechtigung und Wählbarkeit sollen durch spätere Gesetze regulirt werden.
In Civil- und Kriminalprozeßsachen ist die Mündlichkeit nicht einmal als Regel ausgesprochen; die Oeffentlichkeit bei Civilsachen in Frage gestellt. Die mit schweren Strafen bedrohten Handlungen, so wie die politischen und Preßvergehen sind nicht vollständig oder wenigstens nicht unzweideutig der Beurtheilung der Geschwornen unterworfen.
In Betreff der Kompetenz der Gerichte und Verwaltungsbehörden wird auf das Gesetz verwiesen ; die Entscheidung über die Konflikte nicht einzig der Gerichten übertragen.
Statt Festsetzung einer Civilliste verbleibt das Gesetz über das sog. Kronfideikommiß.
Von einer allgemeinen Volksbewaffnung, eine allmähliche Verminderung des Heeres, Verschmelzung desselben mit dem Staatsbürgerthum, einer Veränderung des Polizeiwesens und des Beamtenthums, Unabhängigkeit des Gemeindewesens ist nirgendwo die Rede. Die Unentgeltlichkeit des Unterrichtes wird nicht als nothwendig anerkannt, des Armenwesens mit keinem Worte gedacht. Alle sozialen Fragen der Zeit werden ignorirt; und endlich wird auch für die Zukunft die Aussicht auf eine genügende Feststellung der in Frage gelassenen Institutionen, dadurch völlig abgeschnitten, daß statt einer Volkskammer noch eine erste Kammer errichtet ist. Ihre Zusammenstellung, die Dauer und Erblichkeit der Pairie, ihr Veto in der Gesetzgebung, stellt eine neue Aristokratie neben die aus allgemeiner Wahl hervorgegangenen Volksvertreter und tritt durch ihren schneidenden Eingriffe in das Princip der Volkssouveränität am meisten verletzend dem Gefühle und dem allgemeinen Willen der übrigen Staatsbürger entgegen.
Demnach tragen die unterzeichneten Bürger Köln’s bei der hohen Versammlung dahin an: Die Vorlage zur Vereinbarung einer Verfassung zurückzuweisen, und insofern es schon vor der Vollendung des Verfassungswerkes durch die deutsche Nationalversammlung möglich sein sollte, als konstituirende Versammlung die preußische Verfassung auf neuer Grundlage festzustellen.