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Beiträge veröffentlicht in “Artikel und Vorträge”

Eine Rede für Karl Marx

Am 5. Mai 2021 jährt sich der Geburtstag von Karl Marx zum 203. Mal. Es ist kein „runder“ Geburtstag. Und wegen der Pandemie werden ohnehin alle größeren Gedenkveranstaltungen ausfallen. Nach seinem Tod am 14. März 1883 verfasste sein Weggefährte und Freund Friedrich Engels, der schon in Köln und Paris an seiner Seite stand, einen Nachruf, der auch eine Geburtstagsrede sein könnte. Marx wird darin als derjenige bezeichnet, der dem Proletariat „zuerst das Bewußtsein seiner eigenen Lage und seiner Bedürfnisse, das Bewußtsein der Bedingungen seiner Emanzipation gegeben hatte“. Als „wirklicher Revolutionär“, für den die Befreiung „der Lohnarbeiter von den Fesseln des modernen kapitalistischen Systems“ eine wahre „Berufung“ war.

Wir zitieren diesen Text nach der Fassung im „Der Sozialdemokrat“.  Und weisen gleichzeitig darauf hin, wie sehr sich Marx durch die derzeitige Entwicklung der Pandemie – gerade in Köln – bestätigt fühlen würde: Inzidenzzahlen von 68,9 in einem wohlhabenden Stadtteil wie Hahnwald und von 586,2 in einem sozial schwachen wie Finkenberg. Deutlicher lässt sich der Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit wohl nicht darstellen.

Friedrich Engels
Das Begräbnis von Karl Marx

[„Der Sozialdemokrat“
Nr.13 vom 22. März 1883]

Samstag 17. März wurde Marx auf dem Friedhof zu Highgate zur Ruhe gelegt, im selben Grabe, in dem seine Frau vor fünfzehn Monaten beerdigt worden. Am Grabe legte G.Lemke zwei Kränze mit roten Schleifen auf den Sarg, im Namen der Redaktion und Expedition des „Sozialdemokrat“ und in dem des Londoner Kommunistischen Arbeiterbildungsverein.
Dann sprach F. Engels ungefähr folgendes in englischer Sprache:

„Am 14. März, nachmittags ein Viertel vor drei, hat der größte lebende Denker aufgehört zu denken. Kaum zwei Minuten allein gelassen, fanden wir ihn beim Eintreten in seinem Sessel ruhig entschlummert – aber für immer.

Was das streitbare europäische und amerikanische Proletariat, was die historische Wissenschaft an diesem Mann verloren haben, das ist gar nicht zu ermessen. Bald genug wird sich die Lücke fühlbar machen, die der Tod dieses Gewaltigen gerissen hat.

Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte: die bisher unter ideologischen Überwucherungen verdeckte einfache Tatsache, daß die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können; daß also die Produktion der unmittelbaren materiellen Lebensmittel und damit die jedesmalige ökonomische Entwicklungsstufe eines Volkes oder eines Zeitabschnitts die Grundlage bildet, aus der sich die Staatseinrichtungen, die Rechtsanschauungen, die Kunst und selbst die religiösen Vorstellungen der betreffenden Menschen entwickelt haben, und aus der sie daher auch erklärt werden müssen – nicht, wie bisher geschehen, umgekehrt.

Damit nicht genug. Marx entdeckte auch das spezielle Bewegungsgesetz der heutigen kapitalistischen Produktionsweise und der von ihr erzeugten bürgerlichen Gesellschaft. Mit der Entdeckung des Mehrwerts war hier plötzlich Licht geschaffen, während alle früheren Untersuchungen, sowohl der bürgerlichen Ökonomen wie der sozialistischen Kritiker, im Dunkel sich verirrt hatten.

Zwei solche Entdeckungen sollten für ein Leben genügen. Glücklich schon der, dem es vergönnt ist, nur eine solche zu machen. Aber auf jedem einzelnen Gebiet, das Marx der Untersuchung unterwarf, und dieser Gebiete waren sehr viele und keines hat er bloß flüchtig berührt – auf jedem, selbst auf dem der Mathematik, hat er selbständige Entdeckungen gemacht.

So war der Mann der Wissenschaft. Aber das war noch lange nicht der halbe Mann. Die Wissenschaft war für Marx eine geschichtlich bewegende, eine revolutionäre Kraft. So reine Freude er haben konnte an einer neuen Entdeckung in irgendeiner theoretischen Wissenschaft, deren praktische Anwendung vielleicht noch gar nicht abzusehen – eine ganz andere Freude empfand er, wenn es sich um eine Entdeckung handelte, die sofort revolutionär Eingriff in die Industrie, in die geschichtliche Entwicklung überhaupt. So hat er die Entwicklung der Entdeckungen auf dem Gebiet der Elektrizität, und zuletzt noch die von Marc Deprez, genau verfolgt.

Denn Marx war vor allem Revolutionär. Mitzuwirken, in dieser oder jener Weise, am Sturz der kapitalistischen Gesellschaft und der durch sie geschaffenen Staatseinrichtungen, mitzuwirken an der Befreiung des modernen Proletariats, dem er zuerst das Bewußtsein seiner eigenen Lage und seiner Bedürfnisse, das Bewußtsein der Bedingungen seiner Emanzipation gegeben hatte – das war sein wirklicher Lebensberuf. Der Kampf war sein Element. Und er hat gekämpft mit einer Leidenschaft, einer Zähigkeit, einem Erfolg wie wenige. Erste ,Rheinische Zeitung‘ 1842, Pariser ,Vorwärts! ‚1844, ,BrüsseIer Deutsche Zeitung‘  1847,Neue Rheinische Zeitung‘ 1848-1849, ,New-York Tribüne‘ 1852-1861 – dazu Kampfbroschüren die Menge, Arbeit in Vereinen in Paris, Brüssel und London, bis endlich die große Internationale Arbeiterassoziation als Krönung des Ganzen entstand – wahrlich, das war wieder ein Resultat, worauf sein Urheber stolz sein konnte, hätte er sonst auch nichts geleistet.

Und deswegen war Marx der bestgehaßte und bestverleumdete Mann seiner Zeit. Regierungen, absolute wie republikanische, wiesen ihn aus, Bourgeois, konservative wie extrem-demokratische, logen ihm um die Wette Verlästerungen nach. Er schob das alles beiseite wie Spinnweb, achtete dessen nicht, antwortete nur, wenn äußerster Zwang da war. Und er ist gestorben, verehrt, geliebt, betrauert von Millionen revolutionärer Mitarbeiter, die von den sibirischen Bergwerken an über ganz Europa und Amerika bis Kalifornien hin wohnen, und ich kann es kühn sagen: Er mochte noch manchen Gegner haben, aber kaum noch einen persönlichen Feind. Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk!“

(Quelle: MEW 19, S.335-337)

Für Interessierte weisen wir auf die für den 5.5. um 19:30 geplante Rede von Professorin Marina Münkler auf youtube hin: https://www.youtube.com/watch?v=t73Ugv–egE

 

Ein Raum für Karl und Jenny Marx

Der Förderverein für dieses Projekt strebt an, auch in Köln einen Ort zu schaffen, der an das Wirken von Marx, seiner Frau Jenny und seiner Mitstreiter und Mitstreiterinnen erinnert. Er soll über die Zeit und die Geschehnisse während Marxens Zeit als Redakteur der „Rheinischen Zeitung“ und der „Neuen Rheinischen Zeitung“ informieren. Dabei wird deutlich werden, dass Köln in dieser Zeit mit an der Spitze der revolutioären Bewegung für Demokratie und eine Republik stand.

Mit dem Ausklang des Marx-Jahres 2018, das vor allem in Trier enthusiastisch gefeiert und zum grandiosen Tourismus-Event wurde, haben wir uns die Frage gestellt, warum in Köln so wenig an den Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus erinnert – genau genommen gar nichts, wenn man von einer Allee am äußersten Ende der Stadt[1], einer kleinen Tafel Am Heumarkt 65, dem ehemaligen Redaktionsort der „Neuen Rheinischen Zeitung“, und einer seltsamen Figur auf dem Kölner Rathausturm[2] absieht, die seinem Format als politischer Denker kaum gerecht wird.

Karl Marx

Trier hat sein Marx-Haus, in Wuppertal gibt es ein Engels-Museum, in London eine „Karl Marx Memorial Library“, in Wien eine Genossenschaftssiedlung namens „Karl-Marx-Hof“, der eine Ausstellung über das „Rote Wien“ angeschlossen ist. Nur Köln glänzt durch konsequente Nicht-Beachtung von Marx, obwohl er zwei entscheidende Phasen seines Lebens hier verbrachte, die Jahre 1842/43 und 1848/49, in denen er als Redakteur der „Rheinischen“ und „Neuen Rheinischen Zeitung“ nicht nur die Grundlagen seiner ökonomischen Theorie legte, sondern auch zum Sprachrohr der Revolution wurde. Er selbst hat einmal darüber gesagt:

„Im Jahr 1842/43, als Redakteur der ‘Rheinischen Zeitung‘, kam ich zuerst in die Verlegenheit, über sogenannte materielle Interessen mitsprechen zu müssen. Die Verhandlungen des Rheinischen Landtags über Holzdiebstahl und Parzellierung des Grundeigentums, Debatten endlich über Freihandel und Schutzzoll, gaben die ersten Anlässe zu meiner Beschäftigung mit ökonomischen Fragen.“

Was Köln braucht, ist aber kein Marx-Denkmal, das ihn als einzige Galionsfigur auf den Sockel hebt, sondern einen Ort der Erinnerung an die 1840er Jahre, in denen die Stadt ein Zentrum der Demokratie und der Revolution war. Dazu gehört neben Marx auch Friedrich Engels, den er hier zum ersten Mal traf, dazu gehört der jüdische Journalist Moses Hess, der sozialistische Armenarzt Andreas Gottschalk, der Lyriker Georg Herwegh, der Kölner Arbeiterverein mit zeitweilig 7000 Mitgliedern, dessen erster Sekretär Fritz Anneke und “last not least“ seine Ehefrau Mathilde Franziska, die während seiner Haft die gemeinsame »Neue Kölnische Zeitung« allein herausgab und nach deren Verbot eine »Frauenzeitung«, die erste deutsche Frauenzeitung überhaupt.

Jenny Marx um1835

Vor allem sollte auch an Jenny von Westphalen, verheiratete Marx, erinnert werden, die Karl Marx mit drei Kindern nach Köln folgte und politisch wie moralisch während des ganzen, oft von Not und Elend geprägten Lebens auch im Exil, immer an seiner Seite stand. Die belesene und außerordentlich gebildete Jenny Marx war aktives Mitglied der sozialistischen Bewegung. Sie stand in Korrespondenz mit Lassalle, Engels, Liebknecht und vielen anderen bedeutenden Zeitgenossen. In Zusammenarbeit mit ihrem Mann schrieb sie auch dessen manchmal nahezu unleserlichen Texte ins Reine.
In Köln lebte die Familie bis zum Ende von Marx Redakteurstätigkeit bis zum 19. Mai 1849. Da erschien die letzte Nummer der „Neuen Rheinischen Zeitung“ ganz in Rot mit über 15 000 verkauften Exemplaren und dem berühmten Gedicht von Freiligrath.  Sogar im Karneval wurde die Revolution thematisiert und “satirisch“ dargestellt, sodass die Ausstellung in den Räumeen für Karl und Jenny auch ihre humoristischen Komponenten haben könnte.

Plünderung des Offermannschen Waffenladens

Im Kölnischen Stadtmuseum, im Rheinischen Bildarchiv, im Historischen Archiv der Stadt Köln, in der Universitäts- und Zentralbibliothek, im Wallraf-Richartz-Museum und im Archiv der Sozialen Demokratie in Bonn gibt es zahlreiche Bilder, Objekte und Dokumente, mit denen sich diese Geschichte darstellen lässt: historische Zeitungsartikel und Flugblätter, Briefe und Porträts der Protagonistinnen und Protagonisten, Karikaturen, Fahnen, Trommeln, Revolutionsgemälde, vor allem von dem Kölner Maler Wilhelm Kleinenbroich, der in dieser Stadt viel zu wenig bekannt ist, um nur einige Beispiele zu nennen.


[1] der Karl-Marx-Allee in Chorweiler/Seeberg [2] Helmut Moos